Vor ein paar Wochen war ich in dem Film „Ziemlich beste Freunde“ . Er beruht auf einer wahren Begebenheit und handelt von der Freundschaft zwischen dem gelähmten Philippe und seinem neuen Pfleger Driss, der – gerade erst aus dem Gefängnis entlassen – eigentlich nur einen Stempel für das Arbeitsamt bei Philippe abholen wollte.
Der Film kam bereits im Januar in die deutschen Kinos. Lohnt es also überhaupt noch, einen Artikel darüber zu schreiben? Nun, ich möchte hier keine Filmkritik abgeben, sondern mich damit beschäftigen, was er mit den Zuschauern anstellt.
Ich war, wie bereits erwähnt, eher unter den letzten Kinogängern, alle meine Freundinnen hatten den Film schon vor mir gesehen – und waren begeistert. „Was, da warst Du noch nicht drin?“ „Dieser Film ist ein Muss!“ „Ich habe ihn schon viermal gesehen“, lauteten einige ihrer Kommentare.
Zudem verwunderte mich, dass es völlig gleich war, ob es sich um zwölfjährige oder um 60jährige Kinogänger handelte. Alle liebten diesen Film.
Meine Erwartungen waren also entsprechend hoch, als ich es mir endlich im Kinosessel gemütlich machte. Was folgte, war ein netter, lustiger, unterhaltsamer Film, nicht mehr und nicht weniger – meine Meinung. Wenn keine wahre Geschichte dahinter gesteckt hätte, hätte ich ihn wahrscheinlich zusätzlich als hanebüchen abgestempelt. Seitdem beschäftigt mich die Frage, was diese Begeisterungsstürme bei den anderen ausgelöst hat. War es vielleicht die unkomplizierte Art, mit der der junge Pfleger mit dem schwerstbehinderten Philippe umging? War es die Erleichterung darüber, dass man über seine Unbekümmertheit und zum Teil auch Schamlosigkeit lachen durfte, ohne beschämt rot zu werden? Fand man den Film so toll, weil ihn alle anderen auch toll fanden? Oder einfach nur, weil die Hauptdarsteller einfach klasse waren? Reicht das aus, diese Euphorie zu erklären? Zugegebenermaßen ließ auch mich dieser Film, nein, diese Geschichte, nicht mehr los. Ich wollte wissen, was davon denn nun wirklich passiert ist. Also las ich die Biographie des echten Pflegers Abdel Sellou „Einfach Freunde“ und musste feststellen, dass das Leben tatsächlich manchmal die seltsamsten Geschichten schreibt. Vieles aus dem Film ist wirklich passiert, manches nicht. Aber dass ein Querschnittsgelähmter das Experiment wagte, seinen Körper einem windigen, unkonventionellen und dazu noch völlig ungelernten Pfleger anzuvertrauen, ist passiert. Dass sich dadurch für beide das Leben grundlegend veränderte, auch. Philippe bekommt seinen Lebensmut zurück, und Abdel verabschiedet sich von seinem Leben als Kleinkrimineller. Beide finden eine Partnerin und bekommen bzw. adoptieren Kinder. Das berührt. Mir stand wohl wieder mein kritischer Verstand und Zensor im Weg, der sagte, das kann so nicht passiert sein, also ist das Mainstream-Kitsch. Für den Film trifft das vielleicht zu, aber nicht für die Biographien der Beiden.
Hast Du den Film gesehen, Katja? Wie siehst Du das? Kennst Du Freundschaftsgeschichten, die schier unglaublich erscheinen und doch wahr sind?
Noch kurz am Rande: die Biographie von Abdel Sellou habe ich auf meiner neuen Errungenschaft, einem Kindle, gelesen. Ich war überrascht, wie wenig mir das klassische Buch dabei fehlte. Doch über die Vorzüge und Nachteile von eBook-Readern schreibe ich vielleicht das nächste Mal.
Ich konnte den Hype um „Ziemlich beste Freunde“ nachvollziehen und finde gut, wenn es Filme gibt, die generationsübergreifend funktionieren. Ich selbst fand den Film etwas vorhersehbar, und darüber tröstete mich auch die noch so erstaunliche und wahre Freundschaftsgeschichte nicht hinweg.
Ich kenne keine Freundschaft, die ähnlich ungewöhnlich ist wie die von Driss und Philippe, doch ich finde interessant, wie Freundschaften entstehen. Es gibt ja viele sympathische Menschen. Dennoch entwickelt sich nicht aus jedem anregenden Gespräch gleich eine Freundschaft. Was macht, dass man zu dem einen Menschen eine Beziehung aufbaut und den nächsten gehen lässt? Zufall? Tagesform? Klar spielen da viele Faktoren eine Rolle.
Wie wichtig sind Freundschaften überhaupt? Sehr wichtig. Das erfahre nicht nur ich gerade jetzt. Eine der fünf Dinge, die viele Sterbende bereuen, wenn sie auf ihr Leben zurückblicken, ist, ihre Freundschaften nicht gepflegt zu haben. Das hat Bronnie Ware in ihrem Buch „the top five regrets oft the dying“ dargelegt (Auf das Buch hat Christina in ihrer Antwort auf den Artikel „Was wäre wenn“ hingewiesen, Danke).
Aber kann man Freunde bewusst gewinnen? John Izzo beschreibt in seinem Buch „Die fünf Geheimnisse, die Sie entdecken sollten, bevor Sie sterben“, wie er eines Tages bemerkte, dass er eine glückliche Familie, viele Bekannte, aber nur wenige Freunde hatte. Er nahm sich vor, diesen Zustand systematisch zu ändern und es gelang ihm. Ich glaube, ich bin im Moment ein bisschen anfällig für Ratgeberliteratur. Aber ich finde schon faszinierend, wie es manchen Menschen gelingt, ihre Leben zu formen und andere Menschen scheinbar vom Leben geformt werden. Vereinfacht gesagt.