Eine Biografie, Wozu? Dafür gibt es viele Gründe. Unser Blogleser Dr. Kurt Hartwig beleuchtet drei davon:

 

Warum erstellt man eine Biografie? Deren Produktion ist mit Mühen verbunden. Zwar nimmt Katja Sengelmann als Biografin dem Autor den Aufwand ab, seine Erinnerung zu Papier zu bringen, also das Schreiben selbst. Indessen bleibt für ihn die Aufgabe, die Erinnerungsarbeit zu leisten. Wie ist sein Leben bisher verlaufen? Und die mag für ihn nach einem langen Leben, welches er bislang hinter sich gebracht hat, recht mühselig, ja manchmal gar schmerzhaft sein.

Ich meine es gibt zwei Aspekte, die den Aufwand rechtfertigen, der notwendigerweise mit der Herstellung einer Biografie verbunden ist: Zum einen geht es darum, dass man bei den Vertrauten nicht in Vergessenheit gerät, wenn man nicht mehr unter ihnen weilt; zum anderen ist die Biografie einer Art Resümee: Dies ist mein Leben! Es gibt noch einen dritten Aspekt, der für mich selbst von Bedeutung, jedoch nicht typisch ist. Ich komme später darauf zurück.

Zum ersten Aspekt: Mein ältester Enkel ist 20 Jahre alt. In 50 Jahren, wenn sein Berufsleben zu Ende sein wird, kann er in der Biografie seines dann längst verstorbenen Großvaters nachlesen, was dieser vor 130 Jahren im Zweiten Weltkrieg erlebte. Er wird auch die sozialen Umstände erfahren, unter denen dieser und seine Mitbürger damals lebten. Da meine beiden jüngsten Enkel noch kein Jahr alt sind, lässt sich dieser Aspekt noch potenzieren und die Rückschau gar auf 150 Jahre ausdehnen. Ich selbst bedaure, dass ich meine Großeltern nur in einem kurzen Zeitfenster erlebt habe, als sie alte Leute waren. Wie haben Sie Ihre Jugend verbracht? Was hat sie bewegt, als sie ihre Familien gründeten? Fragen über Fragen, die unbeantwortet bleiben müssen. Das muss nicht sein! Meine Enkel, die mich als ihren Großvater noch erlebt haben, sollen nicht im Unklaren darüber sein, wie sein Leben verlief, als es sie noch gar nicht gab.

Zum zweiten Aspekt: Ein gleichaltriger Freund meint, dass wir angesichts unseres fortgeschrittenen Lebensalters jederzeit damit rechnen müssten, tot umzufallen. Für mich ist aufgrund meines Leidens die größere Gefahr, umzufallen und infolgedessen tot zu sein, was mir kürzlich fast widerfahren wäre. Ich sei noch mit einem blauen Auge davongekommen, meint mein Orthopäde. So empfand ich das Zusammenfügen meiner Biografie immer als ein Rennen gegen die mir verbleibende „Restlaufzeit“. Wird es gelingen, das Werk zu vollenden, solange ich noch in der Lage bin, es zu autorisieren? Die Abkürzung „pp“, früher gern und viel benutzt, steht für „praescriptis praescribendis“. Der Inhalt dieser lateinischen Floskel gibt zutreffend wieder den Zweck meiner Biografie: „Nachdem geschrieben worden ist, was geschrieben werden musste.“  Für diese Darstellung meines Lebens habe ich mich entschieden. Zu ihr stehe ich. Sie hat Bestand auch nach mir. Ich habe gesprochen.

Der dritte Aspekt bezieht sich auf die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs. Am 30. April 1945 fuhr ich mit meiner Mutter und meiner Schwester auf einem mit Soldaten und Flüchtlingen voll beladenen offenen Wehrmachtsfahrzeug von Lübeck nach Hamburg. Ein Tiefflieger machte uns aus, schoss jedoch nicht und richtete damit kein Massaker an unter den nach Hamburg flüchtenden Menschen. Ich empfand diesen Umstand danach immer als großen Glücksfall, der mein Leben rettete. Im Rahmen meiner Recherchen zu der Biografie fand ich den wirklichen Grund heraus: im Hinblick auf die Kapitulation Hamburgs am 4. Mai 1945 hatten die Kriegsparteien vereinbart, dass ab dem 26. April beiderseits nicht mehr geschossen werde.