Hallo Katja,

heute würde ich gerne mit Dir über ein Zitat des dänischen Philosophen, Theologen und Schriftstellers Sören Kierkegaard philosophieren:
„Es ist wahr, was die Philosophie sagt, daß das Leben rückwärts verstanden werden muss. Aber darüber vergisst man den andern Satz, daß vorwärts gelebt werden muß.“

Bisher war dieses Zitat für mich ganz allgemein nachvollziehbar und geistreich, so wie viele andere Zitate und Aphorismen auch.
In letzter Zeit sehe ich die Worte Kierkegaards aber immer häufiger persönlich bestätigt, nämlich, wenn ich mal wieder mit meiner Teenager-Tochter über Verbote diskutieren muss. Geht Dir das auch so, dass Du Dir als Jugendliche geschworen hast, niemals so zu handeln wie Deine Eltern und dennoch jetzt genau das machst?
Heute, als Mutter, verstehe ich viele Entscheidungen und Handlungsweisen meiner Eltern, ihre Ängste und Sorgen, ihr Bestreben, uns Kinder zu behüten. Das muss nicht alles gut oder richtig gewesen sein, aber rückwärts betrachtet verstehe ich sie. Durch dieses Verständnis ergibt sich dann doch die bei der Beschäftigung mit der eigenen Biographie so wertvolle Versöhnung mit der eigenen Vergangenheit, oder?

Und, um zum anderen Teil des Zitates „daß vorwärts gelebt werden muss“, zu kommen, bietet sich daraus auch eine große Chance für die Zukunft. Denn mit dem Wissen um die Vergangenheit kann ich mein Leben bewusster gestalten. In meinem Beispiel bedeutet das, dass ich den Freiheitsdrang eines Teenagers mit dem elterlichen Beschützerinstinkt abwägen und daraus eine bewusste Entscheidung treffen kann. Mit dieser Entscheidung wird der Teenager in der Regel zwar auch nicht einverstanden sein, aber ich kann sie guten Gewissens vertreten. Und wenn wir Glück haben, werden diese Teenager selbst irgendwann (später!) einmal Eltern.

Ich bin gespannt, wie Du das siehst, liebe Katja. Wirkt sich das Verständnis der Vergangenheit auch auf Dein heutiges Handeln aus?

Liebe Grüße nach Hamburg,
Grit

2 Kommentare

  1. katja

    Liebe Grit,
    um Deine Frage gleich vorneweg zu beantworten: Natürlich hoffe ich, dass sich das Verständnis der Vergangenheit auf mein heutiges Handeln auswirkt. Bei einfachen Entscheidungen lässt sich dieses Wissen auch sehr leicht umsetzen: Vertraut Euren Töchtern, sie werden schon pünktlich nach Hause kommen!
    Schwieriger wird es, wenn es um ein in der Kindheit erlerntes Muster geht. Wenn ich in bestimmten Situationen immer auf dieselbe Weise reagiere, obwohl ich aus Erfahrung schon längst weiß, dass es überhaupt nicht sinnvoll ist. Ein erster Schritt ist es, dieses in der Vergangenheit erlernte Muster zu erkennen. Gelingt es in einem zweiten Schritt oder in vielen kleinen Schritten, sich daraus zu lösen und in Zukunft anders zu reagieren?
    Wenn ich an meine Biographie denke, kann es auf jeden Fall auch in Bezug auf Muster versöhnlich sein, in die Vergangenheit zu schauen: Auch unsere Eltern steck(t)en in Mustern und auch sie können/konnten nichts dafür.
    es lohnt, sich auf den Weg zu machen und sich zu erforschen.
    In diesem Sinne grüße ich Dich und die Leser herzlich aus dem grauen Norden,
    Katja

    • Elfie

      Liebe Grit, liebe Katja,

      Ein paar Gedanken zur Ergänzung:

      Ich stimme euch auf jeden Fall zu, dass die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit hilft, die Gegenwart zu verstehen, was oft mit der Hoffnung verbunden ist, die Zukunft anders zu gestalten.
      Und sind es da nicht meistens die Kinder, die diese Muster in uns aufdecken?
      Ich erlebe es auch als extrem schwer, diese Muster so zu verändern, dass sie zu meinen Wünschen als Teenager und zu meinen Sorgen als Mutter passen. Ich sehe mich in der glücklichen Lage, zumindest manches genau so mit meinem Teenager besprechen zu können, und meistens finden wir ganz gut zusammen. Ich glaube nämlich auch, dass diese alten, eingebrannten unflexiblen, meistens ungeliebten Muster an Kraft verlieren, wenn sie zumindest im Ansatz benannt werden können.

      In diesem Sinne, viele Grüße aus dem noch weiteren frühlingshaften Norden

      Elfie