Ich stehe mit meinem sechsjährigen Sohn in der Schlange an der Supermarktkasse. Plötzlich sagt er: „Mama, warum kann ich nicht dein einziges Kind sein?“

Tja, warum ist er nicht mein einziges Kind? Was wäre, wenn er es wäre? Wäre er besonnener, klüger und sportlicher, weil ich mehr Zeit für ihn hätte? Oder wäre er egoistischer, ehrgeiziger und ungeduldiger, weil ich mich zu sehr auf ihn konzentriere? Was wäre wenn?

In der Biographiearbeit können wir versuchen, uns selbst auf die Spur zu kommen: Welches Tier wäre ich, wenn ich ein Tier wäre? Welche Pflanze, welche Farbe? Es geht darum, Wendepunkte in einem Leben zu erkennen: Der Moment, als ich meinen langjährigen Arbeitsplatz verlor, als ein plötzlicher Umzug bevorstand oder ich die Liebe meines Lebens traf. Ist es sinnvoll, an diesen Wendepunkten weiterzugehen und sich zu fragen: Was wäre, wenn ich die Arbeitsstelle behalten hätte, nicht in eine andere Stadt gezogen wäre, einen anderen getroffen hätte?

Ich kann mir vorstellen, dass es mich weiterbringt, darüber nachzudenken. Vorausgesetzt, ich stelle mir diese Frage ernsthaft, gewissermaßen mit dem Willen, nicht in Grübeleien zu verfallen, sondern meine Lebenslinien zu erkennen und Schlüsse daraus zu ziehen. Oder sogar, mich mit dem, wie es heute ist, zu versöhnen. Was meinst Du, Grit, ist es müßig, sich darüber Gedanken zu machen: Was wäre wenn?

3 Kommentare

  1. grit

    Liebe Katja,

    das ist eine interessante Frage. Mein erster spontaner Gedanke war: „Das führt zu nichts.“ Denn ich habe den Eindruck, Menschen stellen sich die Frage „was wäre wenn“ immer dann, wenn sie mit ihrer Situation hadern. In diese Kategorie gehört für mich auch „hätte ich doch“ oder „hätte ich besser nicht“. Ich bin der Meinung, dass man seine Entscheidungen zu einem bestimmten Zeitpunkt – und nicht nur an Wendepunkten – immer aus guten Gründen trifft. Da hilft es nicht weiter, später „was wäre wenn“ zu fragen, denn dahinter steckt meistens die Sehnsucht à la „hätte ich doch“. Die Frage müsste in diesem Fall wohl eher lauten „was stört mich, was kann ich ändern?“

    Aber du hast völlig Recht, Katja, wenn man sich diese Frage ganz objektiv stellt, kann man eine Menge über sich erfahren. Sie hilft, Sensibilität und Verständnis für sich und seine Umwelt zu entwickeln. „Was wäre, wenn ich ein Obdachloser wäre?“ „Was wäre, wenn ich die Geschicke dieses Landes lenken müsste?“ Oder: „Was wäre, wenn ich ein Vogel wäre?“ Ich versuche oft, mich in die Gefühle und Gedanken anderer hineinzuversetzen, um ihr Handeln zu verstehen. Ebenso spüre ich auf diese Art in mich hinein. Und dafür lohnt die Frage „was wäre wenn“ sehr, denn auf diese Weise bringt sie wertvolle Erkenntnisse!

    Viele Grüße,
    Grit

    Und was meinen Sie dazu, liebe Leser? Was wäre, wenn Sie diese Frage mit uns diskutierten?

    • Christina Dingeldein

      Noch ein Nachtrag -zu dem Thema „was wäre wenn“ bin ich über ein Buch einer Palliativpflegerin gestolpert. Es heißt „The Top Five Regrets of the Dying“ und handelt von den Dingen, über die Sterbende am meisten reden bzw. was sie am meisten bereuen. Laut der Autorin sind das:

      1. Ich wünschte, ich hätte den mut gehabt, mein eigenes Leben zu leben
      2. Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, meine Gefühle auszudrücken.
      3. Ich wünschte, ich hätte mir erlaubt, glücklicher zu sein.
      4. Ich wünschte, ich hätte nicht so viel gearbeitet.
      5. Ich wünschte, ich hätte den Kontakt zu meinen Freunden aufrecht erhalten.

      Also machen wir selbst noch beim Sterben das Wäre-wenn-Spiel???

      Liebe Grüße,

      Christina

  2. Christina Dingeldein

    Hallo Grit, hallo Katja,

    eine sehr interessante Frage. Sicherlich ist es müßig,über ein “was wäre wenn” nachzudenken, und ich gebe Grit recht, wenn sie sagt, dass man das nur tut, wenn man gerade “hadert”. Aber ein Gutes hätte es eben doch, wenn man es denn so sehen könnte: man könnte das Ganze doch mal so sehen, dass man Fehlerquellen entdeckt bei diesem ganzen “was wäre wenn”-Gefrage.. Warum ist es so gekommen, was wäre mein Ziel gewesen, was hätte ich tun müssen, um das Ziel zu erreichen, was hätte ich anders machen müssen etc. Sicherlich sind Lebenssituationen nicht vergleichbar – aber ein Nachdenken über Stationen und Situationen halte ich für nicht falsch. Ob es einem gelingt, die beim Nachdenken entdeckten Fehlerquellen das nächste Mal besser zu vermeiden… das steht leider auf einem ganz anderen Blatt.

    Daraus ergibt sich die nächste Frage: Warum macht man eigentlich die selben Dinge immer wieder, obwohl man weiß, dass sie falsch sind???

    Viele Grüße,

    Christina